Ich singe das Lied vom Scheitern in der Version Nummer 125. Es liegt auf Platz 2 der aktuellen Niederlagen-Charts.
Was macht einen Hit in der Niederlagen-Liste aus? Wann empfinden wir etwas als Niederlage, die sich von den anderen Niederlagen abhebt? Dann, wenn wir etwas unbedingt wollen, unser bestes geben, uns ausmalen, wie es ist, wenn wir unser Ziel erreichen – und scheitern. Wir bemühen uns, wir wollen erfolgreich sein, wir hoffen. Doch dann kommt die klare Absage – ein Tiefschlag, wir erreichen nicht, was wir uns vorgestellt haben. Wir haben versagt, so wird eine Niederlage zum Hitgarant. Das kollektive „Wir“ verschleiert das traurige „Ich“, das ich seit meiner Niederlage bin. Es ist Niederlage Nummer 125 in diesem Monat, nicht die schlimmste, aber Nummer Zwei hat sie sich mit großem Abstand zum Sieger und zu den anderen Niederlagen in den Charts gesichert.
Eine Niederlage ist Versagen. Ich habe versagt, ich habe mein Ziel nicht erreicht. Meine Zukunftsvisionen werden von einem Moment auf den anderen zerstört, alle Vorstellungen Zeitverschwendung.
Routenplaner
Oder? Es muss ein neuer Plan her, eine neue Zukunftsvision oder die selbe nur die Route muss neu geplant werden – Route neu berechnen oder neues Ziel eingeben. Wann gebe ich auf, wann mache ich weiter? Selbstzweifel machen sich breit: Warum habe ich versagt? Warum bin ich nicht gut genug? Habe ich nicht mein Bestes gegeben? Ständiges Durchkauen der Dinge, die zur Niederlage geführt haben oder geführt haben könnten. Nein, ich bin mit meiner Leistung nicht zufrieden, ich habe nicht mein Bestmögliches gegeben, aber ich bekomme keine Chance mehr. Ich ärgere mich über mich selbst, ich schäme mich für meine Leistung, die am Ende nicht ausgereicht hat.
Ich lecke meine Wunden, suche nach Lösungen. Suche nach Plan B, C und D oder bleibe ich bei Plan A und rüste ihn einfach um auf Plan A 2.0, mache sozusagen ein Update. Hoffentlich eines wie vom Iphone 4 zum Iphone 4s, nicht wie von Iphone 4s zu Iphone5 – mit dem sich alles verschlechtert und nichts verbessert hat.
Eine „Nieder“-Lage, die wirft dich um, danach liegst du am Boden. Das Gegenteil von Niederlage – also im wörtlichen Sinne – müsste eine Hochlage sein, ich möchte eine Hochlage haben. Bei einer Hochlage stehe ich nicht nur wieder auf, ich schwebe über dem Boden.
Neuauflage
Ich versuche mir einzureden, dass diese Niederlage eigentlich nicht meine Niederlage ist, sondern die Niederlage des Systems. Die Niederlage des Systems der Beziehungen. Beziehungen führen nicht immer zu Hochlagen, sie können auch zu Niederlagen führen. Ich sehe dieses Gesicht vor mir, das Grinsen in diesem pausbäckigen Gesicht mit den neugierig-amüsiert glänzenden Augen – tief in mir mache ich es verantwortlich für mein Scheitern. Aber selbst wenn mein (mangelndes) Können, das „nicht den geforderten Standards entspricht“, nicht zu meiner Niederlage geführt hat, dann ist die Niederlage einem Verhalten oder einer Situation in der Vergangenheit geschuldet. Irgendwann habe ich versagt, ob es nun jetzt war oder ob es bereits vor langer Zeit passiert ist, Tatsache ist, dass ich versagt habe. Aber dieses pausbäckige Gesicht zu verteufeln, hilft mir beim Lecken meiner Wunden – es versetzt mich aber auch nicht in eine Hochlage.
In eine Hochlage kann mich nur Produktivität versetzen, das Schmieden neuer Pläne, das Setzen neuer Ziele, das Ausmalen neuer Zukunftsvisionen, so bunt und kräftig, dass ich gleich anfangen will, sie real werden zu lassen. Die Niederlage bewegt mich zu einer Neuauflage.