Ein Familientrip ist an sich schon Nervenkitzel pur, kombiniert mit Raften und der Begegnung mit Tarzan wird er zur Adrenalin-Achterbahnfahrt. Ich verliebe mich an diesem Tag mehrmals. Es ist Weihnachten im August.
Zu Weihnachten leuchteten unsere Augen nicht schlecht, als wir unsere Geschenke auspackten – eines davon 1x Rafting im Nationalpark Gesäuse in der Steiermark. Ein Gutschein für jeden von uns. Mama, Papa, Gabriel und mich. Weil wir uns dachten, dass wir gleich länger in der Steiermark bleiben sollten, wenn wir schon die weite Reise von nahezu 3 Stunden antreten, entschieden wir uns für ein Wochenende. Weil wir aber alle immer alle Hände voll zu tun haben, vor allem am Wochenende hat sich die Terminfindung ein wenig hinausgezögert.
Aber letztendlich ist es dann an einem sommerlichen Sonnentag soweit. Zum Frühstück gibt es Stress, dann ab ins Auto, die wilde Fahrt kann beginnen, wir lassen nur Zahnbürste und Katzen zurück. Ich schwitze und mein Hintern tut weh, wir sind zu fünft, die Freundin von meinem Bruder gehört auch zu unserer Familie und ist mit an Bord –jetzt im Auto, dann im Schlauchboot. Mein Papa verwehrt sich der Klimaanlage – wir streiten wegen der musikalischen Untermauerung unseres Roadtrips – die Schmerzgrenzen hinsichtlich Schlagerschnulzen und Technobeats sind unterschiedlich gelagert. Lieber Radio Niederösterreich bzw. Steiermark oder Kronehit? Ich sehe dieses Whatsapp Emoticon vor mir, das wundernd die Hände hebt, in meinem Kopf wiegt es mit den Händen ab, kann sich nicht entscheiden. Mir fällt der Spruch „Pest oder Cholera“ ein – vielleicht zu drastisch, aber beschreibend.
Surfer-Action-Tarzans
Ok wir kommen endlich an, es hat sich länger angefühlt als 3 Stunden. Schon bei der Fahrt bin ich erstaunt hinsichtlich der gewaltigen Natur und der Berge, die wir in meinem Heimatbundesland schon haben. In der Steiermark habe ich das erwartet, dennoch staune ich über die Schönheit und das viele Grün. Wir landen schließlich im Nationalpark Gesäuse und suchen erst die Raftingstation Gstatterboden. Ok, schnell gefunden, jetzt auf zum nächsten Ziel: Essen. Das gestaltet sich schon schwieriger. Notgedrungen landen wir beim Nationalpark-Imbiss und Verkaufsshop. Mama und ich essen einen kleinen Salat (die Gurkengläser mit den Smoothies sind noch in Mutters Handtasche), Gabriel und Kathi einen größeren Salat und Papa, der gesagt hat wir nehmen nur einen Snack und essen Abends groß, hat eine große Pfanne Steirische Käsenocken vor sich und ein großes Bier neben sich. Als die Nocken kommen sind wir schockiert: Faschiertes drin, obwohl wir extra gefragt haben, ob es vegetarisch sei. Aber nach reichlicher Inspektion haben wir gemerkt, dass das wohl der Steirerkäse ist.
Nach dem Essen suchen wir uns eine Insel in der Enns. Gabriel erklärt mir warum das Wasser so türkisblau strahlend ist. Es war irgendwas mit roten Pigmenten und je klarer das Wasser ist, desto türkiser wirkt es und wenn die Steine drin heller sind leuchtet es so – so oder so ähnlich ist das. Wir liegen hier und sehen die ersten Raftingboote vorbeikommen, hinten schwimmen zwei im Wasser, sie sind wohl von Bord gegangen. Darüber darf ich gar nicht zu viel nachdenken, ich merke wie ich nervös werde. Aber es geht, ich schlafe ein. Dann wird es Zeit und wir gehen hinauf zur Raftingstation. Ich bemühe mich nicht zu starren. Ich mache in den ersten Sekunden drei Guides aus, sie sehen aus wie eine Mischung aus Surfern, Actionfiguren und Tarzans. Alle drei mit nacktem Oberkörper. Nur nicht starren – das ist schon die erste Challenge noch bevor ich überhaupt den Neoprenanzug an habe. Diskret (oder zumindest hoffe ich das) sehe ich sie mir genauer an. Actiontarzan gefällt mir. Bei der Schuhausgabe fragt er mich woher wir sind – ich sehe ihn an und zack habe ich mich verliebt. In den folgenden 45 Minuten versuche ich ihn nicht zu oft anzusehen, merke, dass er mich ansieht. Kein Wunder, wenn ich so sexy aussehe, wie ich mich fühle in dem zu großen Neoprenanzug, der beim Hintern runterhängt wie eine Windel und der Schwimmweste, die auch noch die letzten Details versteckt. Aber die Schuhe sind bequem und der Anzug stinkt nur ein wenig nach Katzenlulu. Oh davor habe ich in meiner Verwirrung noch einem Vater der für seine Familie die Paddel ausgefasst hat ein Paddel gestohlen – ich dachte er wäre ein Guide. Als ich das registriert habe und mich kurz geschämt habe, dass ich ihm eins aus der Hand genommen habe, habe ich mich entschuldigt – aber er hat sich geschmeichelt gefühlt, dass ich ihn auch zu den Surfer-Actionhelden-Tarzans gezählt hätte.
Wir fahren mit dem Bus flussaufwärts. Die Feuerwehrmannschaft, die auch raften wird, hat jetzt schon Spaß – ich vermute, dass auch sie ein flaues Gefühl im Magen haben, es aber mit coolen Sprüchen überspielen.
Wir sind zirka 50 Leute und wie das Schicksal so will wird Tarzan, von seinen Kollegen liebevoll als Latin Lover bezeichnet, unser Guide – mein Herz hüpft. Aber nur kurz, dann setzt es aus, als uns der McGyver-Guide erklärt, was wir zu tun haben, wenn wir über Bord gehen und unter das Boot kommen. Er fragt, ob jemand wieder nach Hause will – ich war kurz davor die Hand zu heben. Ich bin richtig nervös, ich denke der Neoprenanzug hat nicht nach Katzenlulu gerochen sondern Angstschweiß oder -lulu. Nach der Einführung bin ich verwirrt und zweifle daran, ob ich weiß, wie man paddeln muss, um sich nach vorne zu bewegen. Wir nehmen unser Boot, wir sind 10 Personen. Tarzan aus Costa Rica versichert sich, ob wir alles verstanden haben. Er ist streng und ich glaube er denkt sich, dumme Touristen und träumt von wilden Wasserfällen.
Adrenalin kickt
Wir setzen uns ins Schlauchboot, die Füße verschränkt und eingekeilt, damit wir nicht so leicht über Bord geben – ich fühle mich dennoch nicht sicher. Wir sollen nach vor rudern, wenn Tarzan das Kommando gibt – alle im Gleichschritt, oder besser gesagt im Gleichpaddel, das funktioniert schon mal gar nicht. Ich bekomme noch mehr Angst, denn unsere Kapitänin ist nur am Kopf hell, nicht so im Kopf. Die erste Stromschnelle kommt immer näher, zum Glück bin ich mit vorwärtspaddeln beschäftigt und es geht so schnell, dass ich es fast nicht kommen sehe. Es ist wild, das Wasser spritzt, mich hebt es, meine Füße holen mich aber zurück, das Kommando rein ins Boot kommt, ich plumpse rein, das ist einfach, das Kommando raus aus dem Boot funktioniert nur mit Mühen. Elegant wie ein Wal hieve ich mich an den Bootsrand. Es ist ein Adrenalinkick, danach wird es ruhiger, wir üben paddeln, scheinbar sind wir keine Naturtalente. Wir gehen dann doch über Bord, aber freiwillig und schwimmen in der eiskalten Enns. Es ist unmöglich mit den Schwimmwesten unterzugehen. Als ich wieder zurückkomme ins Boot, will mich das andere Boot entführen, sie zerren an mir, die Fremden an meiner Schwimmweste, die anderen haben mich an den Füßen, die Boote entfernen sich, ich frage mich, ob es das nur in Comics gibt, dass Menschen auseinandergerissen werden. Schließlich lassen sie mich doch los und begnügen sich mit der Beute meines Paddels. Aber Tarzan hat ein zweites, er versteht erst nicht, dass es gestohlen wurde, er denkt, ich habe es verloren – dumme Touristin.
Nach der nächsten Stromschnelle legen wir an. Wir gehen in den Bruckgraben, eine Schlucht im Gesäuse. Wir fühlen uns in unseren Anzügen und den Westen wie Astronauten, die auf einem fremden Planeten gelandet sind, um ihn zu erkunden. Wir gehen im Flussbett durchs Wasser, auf Steinen und Sand, wir klettern über größere Steine und kleine Wasserfälle. Es ist wunderschön. Wir müssen Barrieren überwinden indem wir uns an Seilen hochziehen, ein paar Mal helfen die Actionfiguren. Ich bin überwältigt – von der Natur und nicht von den Guides – und meine Oberschenkel schmerzen vor Anstrengung. Ich überdenke beim nächsten Mal den Salat vor einem Actiontrip. Am Ende stehen wir unter einem kleinen Wasserfall, die Schlucht ist ganz eng und hoch, der Felsen vom Wasser abgeflacht und rund wie Specksteine in einem hellen Grau, das Wasser ist Türkis, es ist atemberaubend. Nach kurzem Durchschnaufen und voller Freude geht es wieder zurück, diesmal an der Seite von Tarzan, wir unterhalten uns gut. Er hilft mir über die schwierigeren Stellen – mir und meiner Mama hinter mir, er nimmt meine Hand, einmal hebt er mich herunter. Ich muss aufpassen, wo ich langgehe, zusätzlich dazu, dass ich alle Hände voll zu tun habe, den Rückweg unbeschadet zu bewältigen, muss ich jetzt auch noch schauen, dass es so aussieht, als wäre es meine leichteste Übung – schließlich muss ich Tarzan zeigen, dass der Dschungel kein Problem für mich ist. Als wir wieder im Schlauchboot sitzen bin ich froh, dass es erst ein wenig ruhiger ist, wir waren mindestens eine Stunde Schluchtenwandern, meine Beine zittern etwas. Ich fühle mich großartig, schon lange bin ich nirgends mehr mit ganzem Körpereinsatz in der Natur geklettert, schon lange habe ich mich an keinen Steinen hochgezogen oder bin irgendwo hinunter gehüpft, ich habe alte, fast vergessene Empfindungen wiederentdeckt.
Austausch
Dann kommen die letzten zwei Stromschnellen, unser Guide macht uns ein wenig Angst. Die Boote mit den Kindern müssen schon davor aus dem Wasser, denn für sie ist es zu gefährlich. Mein Herz klopft wieder schneller, ich will auf keinen Fall von Bord gehen. Keiner geht von Bord, auch nicht die Kapitänin. Wir steigen alle seelig aus dem Wasser, seelig und erschöpft. Nach der Busfahrt zurück schälen wir uns aus den Anzügen und nehmen eine Dusche. Als ich wiederkomme unterhält sich mein Bruder mit Tarzan über Socken – richtige Männergespräche eben. Dann verabschiede ich mich und gebe Tarzan meine Nummer, wir wollen uns in Wien treffen.
Im Auto besprechen wir die Erlebnisse, obwohl wir das Selbe gemacht haben, hat es doch jeder von uns unterschiedlich erlebt. Wir begeben uns im Gesäuse auf Futtersuche, wir werden schon alle grantig, in Johnsbach werden wir fündig. Wir sitzen im Gastgarten. Die Tischdecke ist rot-weiss kariert. Auf der Karte finden wir geröstete Knödel und schlagen zu. Ich bin satt aber eines fehlt noch zu meinem Glück: Ein ausgezogener Apfelstrudel mit Vanillesoße. Die anderen trinken Kaffee und sind glücklich. Im Auto hören wir wieder Schlager und suchen unsere Unterkunft. Leider liegt zwischen dem Punkt auf der Karte, der nicht den Schatz, sondern das Landgasthaus Friederike markiert und dem Gesäuse ein Berg, damit konnte niemand rechnen. Aus einem Zentimeter werden also 120 Kilometer, schließlich kommen wir bei Friederike in Bretstein an. Die Hausherrin wartet schon auf uns, fragt wann und was wir frühstücken wollen und zeigt uns unsere Suiten. Es riecht nach den Zigaretten der letzten 30 Jahre. Wir gehen alle sofort ins Bett, etwas anderes bleibt mir auch nicht übrig, ich habe keinen Empfang in Hinterduxing.
Als ich am nächsten Morgen erwache, habe ich fünf Nachrichten von Tarzan erhalten – er schickt mir Küsse. Auf Wolke 7 schwebe ich mit Ganzkörpermuskelkater aus dem Bett. Was für ein schönes Weihnachtsgeschenk….